Erbacher Paddler bieten Familien, Anfängern und Wassersportinteressierten Sonntagsausflüge an.
Die tellergroße Wasserschildkröte sonnt sich ganz ruhig auf dem abgestorbenen Baumstamm, der zur Hälfte ins Wasser ragt. Blau-Braun schimmert ihr Panzer in der Sonne. „Manchmal habe ich schon vier Wasserschildkröten auf einem Platz gesehen, meistens mit eher rot-braunem Panzer und auch schon größere“, erzählt Richard Kremer, Schriftführer des RKC Erbach und begeisterter Paddler. Ein Stück weiter im sogenannten „stillen Wasser“ hinter der Eltviller Au fliegt ein hellblau schimmernder Eisvogel direkt an dem Kajak vorbei in das Geäst der bis ins Wasser hängenden Trauerweiden. Dort versteckt er sich so gut, daß man ihn nicht mehr sehen kann. „Wasserschildkröten und Eisvögel, daß es so seltene Tiere hier bei uns am Rhein gibt, daß hätte ich nie gedacht“, staunt die Mitfahrerin in Richards Boot. „Als junges Mädchen war ich zum ersten Mal zum Paddeln auf dem Rhein mitgewesen, danach aber nie mehr. Durch die Familie, die einige Wochen zuvor zum ersten Mal das Angebot der Erbacher Kanuten zur „Frühschoppenfahrt“ an einem Sonntagmorgen angenommen hatte, hatte ich mich überreden lassen, wieder einmal auf’s Wasser zu gehen. Die Kinder waren so begeistert von dieser Fahrt, daß ich ganz neugierig geworden bin, auch von den Wasserschildkröten hatten sie mir bereits erzählt und ich wollte das fast nicht glauben.“ Sport gehört nicht zu ihren Hobbies, doch auch blutige Anfänger sind bei den Erbacher Kanufahrern herzlich willkommen, wie schnell feststand. Mit unendlicher Geduld erklärt Paddellehrer Richard Kremer ganz genau, daß man das Paddel möglichst lang und tief eintauchen soll, auf Schnelligkeit komme es zunächst gar nicht an. „Laß Dir Zeit, bis Du Deinen ganz eigenen Rhythmus gefunden hast. Kinder lernen die Motorik des Paddelns leicher, Erwachsene brauchen etwas länger“, schmunzelt er. Und das sieht man auch, bei ihrem zweiten Ausflug auf dem Rhein dürfen die fast 14jährigen Zwillinge Katharina und Alexander schon beide in den neuen Einer-Booten des Erbacher Kanuclubs fahren. „Isis“ und „Icefish“ hat der „Rheingauer Kanuclub Erbach“ erst vor wenigen Wochen angeschafft. Dazu gibt es zwei nagelneue Zweier-Kanus: in „Poseidon“ haben Richard und seine Mitfahrerin, in „Free Willy“ ihr wassersporterfahrener Mann und der jüngste Sohn Robert Platz gefunden. „Die neuen Boote sind besonders für Fahranfänger gut geeignet, weil sie mit einem Steuer ausgestattet sind. Da wir Anlieger eines stark fließenden Gewässers sind, ist es für Anfänger schwierig, ohne Steuer das Boot gerade zu halten, deshalb ist es vor allem für die ersten Fahrten auf dem Rhein wichtig, auf eine solchen Ausstattung zurückgreifen zu können“, erläutert auch der Vorsitzende des Erbacher Kanuclubs, Ernst-Dieter Nikolai. Man habe es sich zum Ziel gesetzt, die Jugendarbeit des Vereins zu intensivieren, erklärt der Vorsitzende des ältesten Kanuvereines im Rheingau. Aus diesem Grund wurden zwei Einsitzer- und zwei Zweier-Boote im Gesamtwert von 5000 Euro angeschafft. 2800 Euro für die vier Kajaks bekam der Erbacher Verein als Zuschuss vom Landessportbund. Das restliche Geld hatte man durch den Verkauf von älteren Vereinsbooten aufgebracht.
Seit einiger Zeit schon bieten die Erbacher Kanuten sonntags regelmäßig Familienfahrten mit den beiden vereinseigenen Großkanadiern an, um Eltern und ihre Kinder an den Kanusport heranzuführen. „Der Wassersport ist kein Sport, den Kinder alleine ausüben können, wie etwa Fußball. Die kleinen Anfänger brauchen die Unterstützung der Eltern“, so der Vorsitzende. Gerade deshalb habe man auch zwei Zweier angeschafft, denn hier können Anfänger zusammen mit einem geübten Paddler fahren und so das Kanufahren erlernen, sich aber auch mit den Tücken des Rheines vertraut machen.
Und die hat der Rhein, so lernt die Familie an diesem Sonntag nicht nur die starke Strömung kennen, sondern muß auch erfahren, daß böiger Wind das Wasser so „kabbelig“ macht, daß man schon den einen oder anderen Spritzer abbekommt. „Der Wind sorgt auch dafür, daß das obere Wasser eine leichte Gegenströmung hat“, erklärt Richard, warum man trotz der Fahrt stromab paddeln muss, um vorwärts zu kommen. Und tatsächlich, wenn man das Paddel nicht bewegt, fährt das orangegelbe Boot fast alleine gegen die Strömung.
Dabei ist das Wetter gar nicht schlecht, einige dunkle Wolken, aber auch sonnige Abschnitte beschert der Himmel den sechs Ausflüglern, als sie sich am Sonntagmorgen pünktlich um 10 Uhr am Erbacher Bootshaus in der Rheinallee treffen. Richard hatte gar nicht mit der Familie gerechnet, läßt sich aber schnell zu einem Ausflug überreden. „Ich wollte sowieso eine Trainingsfahrt machen“, lacht er. Besser ist es aber, wenn man sich am Tag zuvor kurz telefonisch für die Familienfahrt am Sonntag anmeldet, empfiehlt er. Auf den kleinen Bootswagen bringen die Wassersportler ihre Kanus durch die Unterführung der B 42 an das Rheinufer. Bevor es losgeht, läßt Richard alle noch mal Probesitzen, die Zwillinge die Steuer ausprobieren und einstellen und erklärt das Wichtigste: „Wenn ihr wirklich kentern solltet, dann denkt zuerst daran, immer die Ruhe zu bewahren und nicht panisch zu werden. Zieht an der Schlaufe, die die Spritzdecke öffnet“. Richard mit seiner ruhigen, besonnenen Art gibt einem ein gutes Sicherheitsgefühl. Mit Anfängern geht er kein Risiko ein und das ist auch gut so. Erst als sich die Wellen von einem vorüber fahrenden Schlepper beruhigt haben, geht es wirklich ins Wasser. Zunächst fährt die Gruppe gegen die Strömung bis in Höhe des Eltviller Schwimmbads. Mit dem starken Wind im Rücken ist das gar kein großes Problem. Dann wird der Rhein überquert und hier heißt es dann, schnell und sicher rüber. Richard achtet darauf, daß genug Abstand zu den großen Containerschiffen und Dampfern in der Fahrrinne ist, trotzdem soll die Überquerung möglichst zügig vorangehen. Die Boote kreuzen das Kielwasser eines talwärts fahrenden Frachters und wenig später haben sie das „stille Wasser“ hinter der Rheinaue von Eltville erreicht. „Nomen est Omen“, denn hier präsentiert sich der Rhein von seiner schönsten Seite, spiegelglatt und weitab vom Lärm der B 42. Natur pur erleben die Paddler, die ganz ruhig und gelassen in ihren Booten dahin gleiten. Auch viele Motorsportler mit ihren großen und kleinen Jachten treffen sich dort, alle in sonntäglicher Gelassenheit, Raser sind hier unerwünscht. „Ahoi“ grüßen sich alle freundlich und auch die trainierenden Eltviller Ruderer in ihrem Sportboot haben Zeit für einen Gruß. „Früher war die Konkurrenz untereinander irgendwie größer, die Paddler waren die letzten in der Pyramide der Wassersportler“, erklärt Richard. Diese Zeiten scheinen angesichts des immer enger werdenden Raums für die Sportler auf dem Rhein vorbei. Doch die Natur, die man hier im „stillen Wasser“ antrifft, ist tatsächlich auch sehr schützenswert. Ein Stück weiter geht es über einen Steinwall, den die Wassersportler „Kribbe“ nennen, in ein Stück, in dem sich nur noch Kanuten bewegen können und hier ist es dann auch wie in einer anderen Welt. Am Ufer, das ja zu Rheinland-Pfalz gehört, tummelt sich eine Familie, die hier schwimmen geht. In den Bäumen sind Taue verknotet, mit denen die Kinder sich ins Wasser schwingen. „Bei Niedrigwasser ist hier ein richtiger Sandstrand“, erklärt Richard. Hier, bei Stromkilometer 509, war früher der letzte Rheinfischer in unserem Raum beheimatet. Nach ihm heißt es heute noch „wir fahren zum Halter“. Mittlerweile ist der Steg im Besitz der Budenheimer Wassersportler, und wenn man Glück hat, kann man tatsächlich hier ein kühles Bier oder ein Radler bekommen. Allerdings bleibt es bei einem, denn man will ja sicher wieder nach Hause kommen, und schließlich soll vor allem gepaddelt werden. In der Nähe der Kribben hin zum Fahrwasser beobachten die Paddler die großen Containerschiffe, die das Wasser zunächst richtig abziehen lassen. Anschließend kommt es dann aber mit vielen Wellen zurück. Durch eine kleine Öffnung zwischen den Kribben und dem Fahrwasser geht es wieder zurück über den Rhein und dann am Wallufer und Eltviller Rheinufer gegen den Wind und viele kippelige, lustige Wellen nach Hause. Vier Stunden nach dem Aufbruch kommen die Ausflügler wieder in Erbach an, dann werden die Boote gründlich gereinigt und ordentlich verstaut, denn am nächsten Sonntag soll es schließlich wieder eine Frühschoppenfahrt geben. Solange das Wetter schön ist, fahren die Erbacher Paddler jeden Sonntag mit Familien und Gästen auf dem Rhein.
© Sabine Fladung